Jedes Verschickungskind hat unterschiedliche Erfahrungen gemacht und erinnert sich individuell an die damaligen Geschehnisse in den Kurheimen. Im Verlauf dieses Projekts lesen Sie immer wieder sehr persönliche Erinnerungen. Auch wenn sich die allermeisten Verschickungskinder negativ an die eigene Kinderkur erinnern, möchten wir betonen, dass es durchaus auch ein paar positive Berichte von Verschickungskuren gibt. Dieses Projekt orientiert sich am Forschungsstand zu Kinderverschickungen Anfang des Jahres 2024 und setzt verstärkt auf eine journalistisch-kritische Auseinandersetzung mit dem Thema. In den folgenden Kapiteln betrachten wir vor allem die Situation der Kinderverschickungen in der ehemaligen BRD, da die Verhältnisse in der DDR von der Forschung bislang kaum berücksichtigt sind.
Dieses Projekt versucht das Erlebte der Betroffenen spürbar zu machen. Kapitel für Kapitel treten wir tiefer ein in die Thematik der Kinderverschickung und die damaligen Erlebnisse der Verschickungskinder. Dadurch können starke Emotionen und/oder Erinnerungen getriggert bzw. hervorgerufen werden. Bitte geben Sie beim Lesen der Inhalte auf sich Acht und nutzen Sie falls nötig die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme für Betroffene.
In diesem Bereich finden Sie einführende Informationen rund um die Thematik der Kinderverschickung: Wo, wann und warum fanden Kinderverschickungen in Deutschland statt und wer war alles Teil dieses Systems?
> Im nächsten Abschnitt wird es interaktiv. Klicken Sie sich in Ruhe durch die Fragen und erfahren Sie das Wichtigste zur Kinderverschickung in Kürze. Sobald Sie fertig sind, treten wir die erschütternde Reise in die Zeit der Kinderverschickungen an.
Kinderverschickungen fanden in Deutschland sowohl in der ehemaligen BRD als auch in der DDR statt. Es ist wichtig, die Kinderverschickung von der sog. Kinderlandverschickung abzugrenzen, die umfassende Evakuierungsmaßnahmen während des Zweiten Weltkrieges meint.
In Kinderkuren wurden Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg, von ca. 1950 bis 1990 verschickt. Vereinzelt gab es auch noch nach 1990 Verschickungen. Ab den 1980er Jahren lösten Mutter-Kind-Kuren sie zunehmend ab.
Verschickungskinder waren in der Regel zwischen 2 und 12 Jahre alt. Verschickung konnte jedes Kind treffen, unabhängig vom sozialen Hintergrund.
Die Verschickung in Kinderkuren erfolgte auf Empfehlung von Ärzten, Gesundheitsämtern, Jugendämtern oder auch Krankenkassen. Die Anregung zur Kinderverschickung kam teilweise auch vom Arbeitgeber der Eltern, etwa von der Bahn oder der Post.
Eine Kinderverschickung dauerte zwischen 4 und 12 Wochen. Üblich waren 6-Wochen-Kuren mit der Möglichkeit zur Verlängerung.
Das angebliche Ziel der Kur war die Genesung körperlich oder konstitutionell kranker Kinder. Doch die wenigsten Kinder konnten sich tatsächlich in ihrer Kur erholen.
Viele Kinder litten in den Wochen, die sie weit weg von ihren Familien in den Kurheimen verbringen mussten, unter starkem Heimweh, Verlustängsten und den harten Erziehungsmethoden des Personals. Oft wird sich in Zusammenhang mit den Verschickungen an körperliche Gewalt, psychische Gewalt und Demütigungen erinnert. Teilweise wird von sexuellen Übergriffen, Sedierungen oder illegalen Medikamententest berichtet. Auch die Rückkehr und Wiedereingliederung in ihre Familien, wird von Verschickungskindern teilweise als sehr schwierig erinnert.
Die geschätzte Zahl an Kinderverschickungen liegt nach Hochrechnungen von Anja Röhl zwischen 8 und 12 Millionen. Niedrigere Schätzungen beziehen sich eher auf die Zahl an Verschickungskindern, höhere Schätzungen auf die Zahl an Kinderverschickungen. Denn: Manche Kinder wurden häufiger als einmal in Kur verschickt.
der befragten Verschickungskinder bewerten ihre Erholungskur negativ. (Report Mainz, 2019)
der Befragten erinnern sich an Bestrafungen.
(Report Mainz, 2019)
leiden bis heute an den Folgen ihrer Verschickung.(Report Mainz, 2019)
Im Rahmen dieses Projekts haben wir mit Verschickungskindern über ihre Erlebnisse in deutschen Kurheimen zwischen 1950 und 1990 gesprochen. In den nächsten Kapiteln berichten sie über ihre Erinnerungen an Personal, Pädagogik und den Kuralltag - und davon, dass dort von Erholung keine Spur war.
Mindestens 8 bis 12 Millionen Kinder verbrachten in den 1950er bis 1980er Jahren Kuraufenthalte in deutschen Erholungsheimen und Kinderheilstätten. Mal ging es zur Kinderkur in die nähere Umgebung, ein andermal reisten die Kinder mit dem Zug durch ganz Deutschland, um ihre "Erholung" anzutreten. Es ging in die Berge, an die See und in verstreut liegende Solebäder. Fast immer waren Kurorte wie Sylt, Amrum, das Allgäu oder der Schwarzwald das Ziel.
In der Zeit zwischen 1950 und 1990 betrieben Krankenkassen, Wohlfahrts- und Sozialverbände sowie hunderte private Träger und Einzelpersonen in Deutschland über 1100 Erholungsheime - und noch sind nicht alle Erholungsheime identifiziert.
Ob Kurheim, Erholungsheim, Kinderheilstätte, Verschickungsheim oder Kinderheim – im Kontext der Kinderverschickung benennen diese Begriffe alle das gleiche: Den Ort, an dem für Verschickungskinder von Erholung keine Spur war.
Erfahren Sie mehr zur Lage und Trägern der Kinderverschickungsheime in Deutschland
Wie Brigitte erging es vielen Kindern während ihrer Verschickung. Von den Eltern zum Bahnhof gebracht, ging alles sehr schnell, denn es sollte keine großen Abschiedsszenen geben. Man wurde dem Begleitpersonal übergeben, bekam einen Platz zugewiesen und nicht selten ein Umhängeschild mit Namen und Kurziel um den Hals.
Kinder, die in Sammeltransporten unterwegs zur Kur waren, trugen einen Anhänger, wie diesen von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK).
Orts- und Zeitangaben können von kleineren Kindern oft nur sehr schwer eingeschätzt werden. Viele Kinder erinnern sich an endlos wirkende Reisen mit anschließenden Wanderungen, Bus- oder Schiffsreisen bis zum Kurziel. Manche Eltern brachten ihre Kinder auch direkt mit dem Auto in die Kur. Kurz nach der Ankunft im Kurheim wurden Freunde oder Geschwisterkinder meist direkt voneinander getrennt und in verschiedenen Gruppen untergebracht. In der Zeit der Verschickung sah man sich oft nur aus der Ferne wieder.
Trudel erzählt, wie sie ihre Ankunft im Erholungsheim in Bad Dürrheim erlebt hat.
Gerhard berichtet von seinen Erfahrungen bei der Ankunft im Kindersolbad in Bad Rappenau.
In deutschen Verschickungsheimen herrschte über die Jahre hinweg permanenter Personalmangel und unzureichende Fachkraftbesetzung. Besonders während der Sommermonate, wenn die Kinderkuren boomten, arbeitete zu wenig Fachpersonal in den Heimen.
Kindererholungsheime verstanden sich selbst eher als klinische Einrichtungen. Das überwiegend weibliche Pflegepersonal, die sogenannten "Tanten", war zumeist pflegerisch ausgebildet. Nur wenige pädagogisch ausgebildete Erzieherinnen arbeiteten vor Ort und das obwohl pro Heim mindestens eine pädagogische Fachkraft vom Jugendamt vorgeschrieben war. Häufig und vor allem in den überbelegten Sommermonaten kamen Praktikantinnen und Zeitarbeiterinnen aus dem Ausland zur Unterstützung in die Heime. Auch war es üblich, dass ein Arzt im Krankheitsfall oder für Kurkontrollen zur Verfügung stand. Das Personal erinnern die meisten Verschickungskinder als vorwiegend kühl, übergriffig oder gar angsteinflößend.
Joachim beschreibt das Auftreten der Tanten während seiner Verschickung.
Die Herkunft des Personals in den Erholungsheimen war vielfältig, die Probleme vor Ort aber keine Einzelfälle, denn sie traten in Verschickungsheimen in ganz Deutschland auf. Anja Röhl erklärt das Phänomen vor allem mit der persönlichen Historie der Tanten. Während einige von ihnen in der Zeit des Nationalsozialismus beruflich geprägt wurden, wuchsen andere Tanten unter der NS-Ideologie und den Einflüssen der schwarzen Pädagogik auf. Diese Prägung zeigte sich in vielen alltäglichen Situationen, wie etwa dem Essenszwang, den strengen Toilettenregelungen und den Strafen, die viele Kindern am eigenen Leib erfahren mussten. Sowohl auf Führungsebene als auch beim Personal gab es nachweislich NS-Kontinuitäten.
Anja Röhl über mögliche Ursachen für die Zustände in deutschen Kinderverschickungsheimen.
Viele Verschickungskinder erinnern sich an eine Briefzensur während ihrer Kur. Das Personal kontrollierte die Briefe auf deren Inhalt, negative Schilderungen wurden oft zerrissen. Bei Kindern, die noch nicht im schreibfähigen Alter waren, übernahmen die Tanten den Briefkontakt mit den Eltern vollständig.
Zu dieser Vorgehensweise ruft Hans Kleinschmidt in einem Ratgeber-Buch persönlich auf: Briefzensur habe sich als unbedingt notwendig erwiesen, schließlich übernehme die Leitung während der 6 Kurwochen die ganze Verantwortung für das Kind.
Sollten Kinder dann doch einmal etwas Negatives über die eigene Kur schreiben, solle man dem Kind erwidern: "(...) sie möchten ihren Eltern, die so weit entfernt sind, durch einen recht traurigen oder gar ablehnenden Brief nicht allzu große Sorgen machen." Seitdem das Personal in den Erholungsheimen so vorgehe, fasst Kleinschmidt zusammen, habe es kaum noch unschöne erste Briefe gegeben.
Unabhängig vom Alter des Kindes oder der Kurdauer durften Eltern ihre Kinder während der Kur in der Regel nicht besuchen - auf ausdrücklichen Rat Kleinschmidts.
In den Kindererholungsheimen herrschte eine strenge Pädagogik, geprägt von wissenschaftlich unbestätigten Erziehungsauffassungen und -tipps von Ärzten und der schwarzen Pädagogik.
Bücher von ehemaligen Nazi-Ärztinnen, wie etwa Johanna Haarer und Hannah Uflacker, allen voran "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" und "Mutter und Kind", beeinflussten nicht nur Eltern, sondern auch Erziehungspersonal, das in den Verschickungsheimen arbeitete.
So schreibt Johanna Haarer 1934 in "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind":
Auch das schreiende und widerstrebende Kind muss tun, was die Mutter für nötig hält, und wird, falls es sich weiterhin ungezogen aufführt, gewissermaßen ,kaltgestellt‘, in einen Raum gebracht, wo es allein sein kann, und so lange nicht beachtet, bis es sein Verhalten ändert. Man glaubt gar nicht, wie früh und wie rasch ein Kind solches Vorgehen begreift.
Haarers Buch wurde zum Bestseller während der NS-Zeit und in abgemilderter Form sogar noch bis 1987 verlegt. Mit über 1,2 Millionen Verkaufsexemplaren prägte sie damit den pädagogischen Geist vieler Menschen.
Erfahren Sie mehr zur NS-Kontinuität in Kinderverschickungsheimen in Deutschland.
Das Standardwerk schlechthin im Kontext der Kinderverschickungen war Sepp Folberths "Kinderheime - Kinderheilstätten" in den Ausgaben 1956 und 1964.
Der Kinderarzt Hans Kleinschmidt gibt unter verschiedenen Überschriften zahlreiche pädagogische Ratschläge und Handlungsempfehlungen für Kinderheime und -erholungsstätten: Abartigkeiten, Führung und pädagogische Probleme, Heimweh, Strafen, Ausreißen und mehr. Nach Selbstaussage verfolgt das Buch den Zweck, die Hausärzte für eine Kinderverschickung zu interessieren.
Kleinschmidt schreibt 1964 in seinem selbst formulierten Strafenkatalog für Kinder in Erholungsheimen:
Nur in besonders gelagerten Situationen, die sich kaum vermeiden lassen, kann einmal die "Hand ausrutschen". Man soll sich dann aber nicht hinreißen lassen, ins Gesicht zu schlagen - es gibt eine bessere Stelle.
Bei Kindern, die beißen und kratzen, bewährt es sich manchmal, ein Schild für eine oder einige Stunden umzuhängen: "Vorsicht, ich beiße", "Vorsicht, ich kratze".
Die folgenden Räume eines mit historischen Bildern nachempfundenen Verschickungsheimes versuchen das Erlebte der Betroffenen spürbar zu machen. Raum für Raum treten wir tiefer ein in die damaligen Erlebnisse der Verschickungskinder. Dadurch können starke Emotionen oder Erinnerungen getriggert bzw. hevorgerufen werden.
Wie sah ein Verschickungsheim damals aus? Wie haben Betroffene die Verschickungsheime erlebt? Und was assoziieren sie mit den einzelnen Räumen, wenn sie an ihre eigene Verschickung zurückdenken?
Sobald der Kurtag geschafft war, ging es für die Kinder in den Schlafsaal und ins Bett. Doch so wirklich von der Kur erholen, konnten sie sich auch über Nacht nicht. Zahlreiche Kinder plagte ein quälender Toilettendrang, ausgelöst durch ein Toilettenverbot, das nachts in einigen Heimen herrschte. Es schrieb den Kindern vor, die Toilette nur zu bestimmten Uhrzeiten und nicht in der Nacht zu benutzen.
Getrieben von Angst, Heimweh und dem Drang auf Toilette gehen zu müssen, sind einige Kinder während der Kur wieder zu Bettnässern geworden – und das, obwohl sie vor der Kur bereits trocken waren. Arne Burchartz erklärt diese körperliche Entwicklung mit der Traumatisierung, die viele Kinder durch die lieblose Pädagogik der Tanten erfahren haben.
Erfahren Sie mehr zur psychotherapeutischen Einordnung von Kinderverschickungen.
Neben einem Toilettenverbot galt ein nächtliches Rede- und Aufstehverbot. Sollte ein Kind weinen oder noch mit der Freundin aus dem Nachbarbett tuscheln, kam es immer wieder zu Bestrafungen. So erinnern sich Verschickungskinder daran, dass sie vor den Augen der anderen Kinder als "Täter" vorgeführt oder aber über Nacht in den kalten Flur oder in eine dunkle Kammer gebracht wurden.
Beim Mittagsschlaf, der meistens nach dem Mittagessen und vor dem Nachmittagsprogramm stattfand, gab es in manchen Heimen die Regel, dass sich die Kinder während des ein- bis zweistündigen Mittagsschlafs nicht bewegen durften. Dies galt auch für die Therapiemaßnahme Liegekur, die draußen und unter freiem Himmel stattfanden.
Ulrich erzählt die Geschichte seines Bettnachbars.
Joachim berichtet von Vorfällen mit dem Betreuungspersonal im Schlafsaal.
Damit das Anziehen und Waschen der Kleidung in Kur schnell und reibungslos ablief, waren die Eltern vom Personal angehalten, die Kleidung ihrer Kinder im Vorfeld zu präparieren. Jedes Kleidungsstück musste mit einem Namensschild oder einer Markierung versehen werden.
Die Eltern schickten ihre Kinder mit Kleidung für verschiedene Anlässe in Kur, darunter sogar ein Sonntagsoutfit für besondere Anlässe. Doch viele Kinder erinnern sich, dass sie während ihrer Kur lange Zeit dieselbe Kleidung tragen mussten und das Personal sie nur selten ausgetauscht und gewaschen hat. Das Sonntagsoutfit kam nur selten zum Einsatz.
Essen war das Thema schlechthin in Kinderkur. Beinahe alles drehte sich um die Gewichtszunahme oder -abnahme der Kinder. Vor allem in den Jahren der Nachkriegszeit prägte das Essen-müssen den Alltag in den Erholungskuren. Aber auch darüber hinaus, in einer Zeit, in der es in Deutschland kaum Unterernährung gab, berichten Verschickungskinder von quälendem Essenszwang.
Dabei spielte es für das Personal keine Rolle, ob das Kind tatsächlich hungrig war. Es musste gegessen werden, was auf dem Teller war. Verschickungskinder berichten von übermäßig viel Essen am Morgen, Mittag, Nachmittag und Abend und gleich mehreren Portionen. Geschmacklich wird das Essen als eintönig, fad und stark sättigend erinnert. Die Atmosphäre im Speisesaal war kühl und ungemütlich, in einigen Kurheimen herrschte sogar Redeverbot während dem Essen.
Joachim erzählt vom Ablauf und den Regeln im Speisesaal.
Trudel berichtet von ihren Erinnerungen an das Essen in ihrer Erholungskur in Bad Dürrheim.
Besonders schlimm für die Kinder war die Tatsache, dass alles aufgegessen werden musste. Kinder versuchten verzweifelt, das Essen in sich hineinzustopfen. Dieser Versuch endete nicht selten in Erbrechen und Übelkeit. Leider – und das wird erschreckend oft erinnert – mussten viele Kinder daraufhin sogar das Erbrochene aufessen.
Auf nicht-aufgegessene Speisen folgten teilweise harte Strafen. In der Ecke stehen, soziale Isolation, Spielverbot oder körperliche Bestrafungen sind nur einige davon.
Trudel erinnert sich an Routinen in ihrer Kinderkur, wie das regelmäßige Wiegen.
Ulrich erzählt von Strafen während des gemeinsamen Essens.
Einmal in der Woche, häufig sonntags, war Waschtag in den Kurheimen. Für die Kinder hieß es dann: die Kleidung ausziehen und vor den Augen der anderen Kinder in die Dusche oder Wanne steigen. Bei vielen Kindern löste dieses Vorgehen starke Schamgefühle und Angstzustände aus, doch das Mitgefühl der Tanten blieb ihnen verwehrt. Das ganze Jahr über - auch im Winter bei eisigen Temperaturen - kam in vielen Kurheimen sehr kaltes Duschwasser zum Einsatz.
Gerade im Kontext der wöchentlichen Duschen erinnern sich Verschickungskinder an körperliche und sexualisierte Gewalt, die ihnen widerfahren ist. Etwa kam es vor, dass das Personal über die Genitalien der Kinder witzelte oder aber ausgiebige Untersuchungen an den nackten Kinderkörpern vollzog. Andere Kinder erinnern sich an Schläge in der Badewanne, wenn sich das Wasser zu stark bewegte. Bis heute tragen viele Verschickungskinder schwere Traumata durch dieses Vorgehen.
Joachim berichtet von seinen Erfahrungen im Waschraum des Kinderhaus Blockwiese im Allgäu.
Verschickungsheime gab es in ganz Deutschland - sowohl in der BRD als auch in der DDR. Besonders beliebte Standorte für Kurheime waren Orte in der Nähe von Thermalquellen, dem Meer oder in unmittelbarer Nähe zu Wald und Wiesen. So gingen viele Verschickungskuren an die Nordsee, in den Schwarzwald, den Bayerischen Wald oder in die Eifel.
Obwohl es im Jahr 1964 in Baden-Württemberg mit Abstand die meisten Heime gab, setzte Nordrhein-Westfalen mit durchschnittlich 84 Heimplätzen zu 55 in Baden-Württemberg die mit Abstand größten Kinderkuren um und kommt damit auf ähnlich viele Verschickungen im Jahr 1964 wie Baden-Württemberg.
1964 befanden sich viele der Heime in privater Hand und erwiesen sich als recht profitabel.
Bei Sepp Folberth finden sich verschiedene Angaben zum Tagessatz für einen Tag Kinderkur, die zwischen 10 und 18 DM liegen. Andere Akten sprechen sogar von 106 DM pro Tag.
Selbst für einen niedrig angesetzten Mittelwert von 12 DM pro Tag und pro Kind ergibt sich aus den im Jahr 1964 839 angegebenen Heimen mit einer Bettkapazität von 56.000 Betten eine Grobschätzung von 225 Millionen DM Umsatz pro Jahr für die Kinderverschickung.
In Baden-Württemberg standen im deutschlandweiten Vergleich die meisten Kurheime. Grund für diese Entwicklung ist vermutlich das hohe Vorkommen an Sole- und Heilbädern und die günstige Lage zu Wald und Bergen.
Es lohnt sich daher, einen detaillierten Blick auf die Kurheime in Baden-Württemberg zu werfen. Wie diese interaktive Karte zeigt, standen besonders viele Kurheime im Schwarzwald und in der Nähe von Freiburg. Aber auch in der Region um Stuttgart, die reich an Thermalquellen ist, gab es viele Verschickungsheime.
Nun sind Sie sind an der Reihe. Navigieren Sie in Ruhe durch die interaktive Karte. Mit Klick auf den Ortsmarker erhalten Sie weitere Informationen zum Kurheim.
Hinweis: Diese Karte hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und dient nur als Überblick. Sie suchen nach einem ganz bestimmten Kurheim oder möchten genauere Informationen? Das Landesarchiv Baden-Württemberg hat eine Liste nahezu aller Verschickungsheime erstellt, die zwischen 1950 und 1980 in Baden-Württemberg betrieben wurden. Hier gelangen Sie zur Liste.
Die Thematik der Kinderverschickung ist äußerst komplex, da sie verschiedene Einflüsse und Forschungsbereiche umfasst. Die Forschung zu Kinderverschickungen in Deutschland steht noch am Anfang. Um ein umfassendes Bild darüber zu erhalten, was Millionen von Kindern zwischen 1950 und 1990 in deutschen Kurheimen erlebt haben, ist es notwendig, die Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
Wir haben mit verschiedenen Expertinnen und Experten gesprochen, von denen jede:r eine eigene Perspektive und Expertise in Bezug auf die damaligen Ereignisse einbringt. In den nächsten Kapiteln betrachten wir die Kinderverschickung aus medizinisch-ethischer, psychotherapeutischer und gesellschaftskritischer Sicht.
Anja Röhl ist Sonderpädagogin, Autorin und Mitgründerin der Initiative Verschickungskinder e.V. Diese fungiert seit 2019 bundesweit als Selbsthilfegruppe für alle Betroffenen von Kinderverschickung und seit 2023 als eingetragener Verein.
Sie hält Vorträge über das Thema Kinderverschickung, sammelt Betroffenenberichte und setzt sich für die Aufarbeitung und Aufklärung in der Öffentlichkeit ein. Besonders wichtig sind ihr die Anerkennung des Leids der Betroffenen und die Übernahme von Verantwortung. Auch in den Medien tritt Anja Röhl immer wieder als Expertin und Betroffene auf, um Verschickungskindern eine Stimme zu geben.
Im Interview berichtet sie uns von "Ursachensträngen der Grausamkeit", die den Fokus auf die Erforschung des Ursprungs und der Hintergründe der bis in die 1980er Jahre anhaltenden grausamen Zustände in deutschen Kindererholungsheimen setzen.
Weitere Informationen und Hintergründe zum Thema Kinderverschickung und den "Ursachensträngen der Grausamkeit“ finden Sie in Anja Röhls Buch „Das Elend der Verschickungskinder – Kindererholungsheime als Orte der Gewalt".
Thomas Beddies ist Professor für Medizingeschichte und Medizinethik an der Charité in Berlin. Was er in seiner Forschung herausgefunden hat, unterstreicht, was bereits die Kapitel Personal und Pädagogik zeigten - nämlich, dass es sowohl auf Personalebene als auch Führungsebene spürbare NS-Kontinuitäten in der Kinderverschickung gab.
Im Interview erzählt er, aus welcher Idee heraus die Kinderverschickung entstand. Außerdem geht er auf die verschiedenen Ebenen ein, innerhalb derer die Ideologien des NS spürbar wurden. Beddies unterscheidet dabei zwischen personellen, strukturellen und pädiatrischen/ärztlichen Kontinuitäten.
Was Sylvia Wagner in den letzten Jahren ans Licht gebracht hat, ist erschreckend: Ab den 1950er Jahren wurden in deutschen Kinderkurheimen Medikamentenversuche an Kindern durchgeführt.
Im Interview erzählt sie uns, wie sie auf die Medikamentenversuche an Kurkindern gestoßen ist, welche Forschungserkenntnisse sie gewonnen hat - und wer eigentlich die Täter sind.
Sylvia Wagner wünscht sich für die Aufklärung von Kinderverschickungen in Zukunft vor allem Folgendes:
Es wäre nicht nur schön, sondern auch notwendig, dass neben Nordrhein-Westfalen auch andere Bundesländer die Aufarbeitung von Medikamententests an Verschickungskindern vorantreiben. Denn diese Versuche haben mit ziemlicher Sicherheit nicht nur in einem Bundesland stattgefunden.
Und damit hat sie Recht. Denn: Schon seit ein paar Jahren gibt es Beweise für Medikamententests, etwa in Bad Dürrheim im Bundesland Baden-Württemberg (siehe Quellenverzeichnis). Unter der Leitung des Kinderarztes Hans Kleinschmidt fanden hier zwischen 1956 und 1973 verschiedene Arzneimittelversuche an Kurkindern statt.
Doch bislang fehlt die Bereitschaft für die Bereitstellung von Forschungsgeldern seitens des Landesregierung in Baden-Württemberg für eine umfassende Medikamentenstudie. Das muss sich ändern, findet Sylvia Wagner.
In einer Caritas-Lungenheilanstalt in Wittlich (Rheinland-Pfalz) wurde nachweislich der Einfluss von Contergan an hunderten Säuglingen und kranken Kindern getestet. Contergan wurde 1961 wegen schweren Nebenwirkungen - darunter Fehlbildungen und Totgeburten - vom Markt genommen.
Hilke Lorenz ist Historikerin, Autorin und Journalistin. Unter anderem für die Stuttgarter Zeitung hat sie zahlreiche Artikel über die Thematik der Kinderverschickung veröffentlicht. In ihrem Buch "Die Akte Verschickungskinder - Wie Kurheime für Generationen zum Albtraum wurden" erzählt sie die Geschichten von Betroffenen und versucht gleichzeitig die Hintergründe des Systems Kinderverschickung zu beleuchten.
Im Interview spricht Hilke Lorenz tiefergehend über diese Hintergründe. Vor allem schockiert die Erkenntnis, wie einfach es war, ein Verschickungsheim zu eröffnen. Wer ausreichend Platz hatte, konnte ohne jegliches pädagogische Konzept Kinder bei sich aufnehmen.
Die negativen Erfahrungen der Kinder blieben oft undeckt und damit geheimes Kinderwissen. Hilke Lorenz führt aus:
In der Regel ist Kindern einfach nicht geglaubt worden. Da setzt sich dann die Perfidität dieses Systems fort. Also Kinder zu Objekten zu machen, Kinder nicht ernst zu nehmen. Und diesen Objekten, warum sollte man denen glauben?
Auch Ulrich bestätigt, dass den Erzählungen von Geschehnissen aus den Verschickungsheimen Zuhause kein Glauben geschenkt wurde.
Für eine ganzheitlichere Aufarbeitung der Geschehnisse muss noch viel Forschungsarbeit in den Archiven geleistet werden. Es besteht jedoch bereits heute die Vermutung einer Industrie hinter den Kinderverschickungen. In Ihrem Buch geht Hilke Lorenz auch auf den Begriff der "Gesundheitsfürsorgeindustrie" näher ein. Gesteuert wurde diese Industrie allerdings nicht nachweislich von einer zentralen Stelle. Sie erstreckte sich vielmehr auf einen Flickenteppich von unterschiedlichen Trägern und Heimen, die von den Verschickungen vor allem finanziell profitierten. Als Antwort auf die Frage, warum sich das System der Kinderverschickungen über so viele Jahre hinweg aufrechterhalten konnte, steht für Hilke Lorenz vor allem der Profit im Vordergrund:
Ein extrem träges System, das sich nicht so leicht verändert, wenn es doch funktioniert. Es war zu lange profitabel für Kindererholungseinrichtungen, sich auf diesem Markt zu bewegen.
Trudel berichtet von ihren Verschickungsgründen und der Rolle, die den Ärzten bei der Verschickung zuteil wurde.
Ilona Yim ist Professorin an der University of California Irvine und forscht seit einigen Jahren intensiv zu gesundheitlichen Folgen von andauerndem Stress. Vor allem geht es ihr um die Frage, welche Folgen die Kinderverschickung - die häufig mit permanentem Stress einherging - auf die Gesundheit der Verschickungskinder hat.
Sie widmet sich in ihrer Forschung zwar gezielt den Verschickungskindern, ihre Forschungsergebnisse lassen sich aber auch auf ähnliche Sachverhalte übertragen.
Im Interview berichtet Yim von ersten Forschungsergebnissen und den aktuellen Studien zum Thema. Außerdem geht sie genauer auf mögliche gesundheitliche Folgen ein, die Kinder durch ihre Verschickung davongetragen haben könnten.
Arne Burchartz ist Kinder- und Jugendpsychotherapeut sowie Diplom-Pädagoge. Täglich behandelt er in seiner eigenen Praxis in Öhringen Kinder und Jugendliche. Als Experte für das frühkindliche Trauma und dessen Aufarbeitung hat er sich auch mit den Folgen der Kinderverschickung auf die erwachsene Psyche auseinandergesetzt und klärt über die Folgen der "pädagogischen" Maßnahmen in Kindererholungsheimen sowie den Bewältigungsmechanismen auf, die die kindliche Psyche während und nach dieser Zeit geprägt haben.
Für Arne Burchartz ist vor allem eines von großer Bedeutung:
Es ist sehr ernst zu nehmen, dass Menschen durch diese Kinderverschickungen lebenslang geschädigt wurden.
Im Interview erklärt er, welche Auswirkungen eine Kinderverschickung auf die kindliche Psyche haben kann und welche Folgeerkrankungen sich daraus entwickeln können. Immer wieder kommt hier der Begriff des Traumas zum Einsatz.
Das Wort Trauma kommt aus dem griechischen und heißt eigentlich Verletzung. Wir kennen das auch aus dem körperlichen Bereich. Wenn Sie sich ein Bein brechen, dann ist es ein körperliches Trauma. Der Begriff hat Eingang gefunden in die Beschreibung psychischer Verletzungen. Diese entstehen dann, wenn ein Betroffener von einem Ereignis überrannt oder überrollt wird, mit dem er vielleicht nicht gerechnet hat. Ein Ereignis, das ihn in große Angst versetzt und für das es psychisch keine Bewältigungsmechanismen gibt.
Wenn es nicht gelingt traumatisierten Menschen rechtzeitig zu helfen, kann sich das traumatische Geschehen in der Psyche festsetzen. So kann es passieren, dass das eigentliche Trauma erst sehr viel später aufgedeckt wird. Auch Schamgefühle und Schuldgefühle spielen hier eine Rolle. Oft bleiben Verletzlichkeit und Scham im Inneren, obwohl die betroffenen Personen nach außen hin fest im Leben stehen.
Trudel erzählt, wie ihre Verschickung sie nachhaltig geprägt hat und von den Folgen der Verschickung während ihrer Schulzeit.
Laut Arne Burchartz liegt das Problem eines Traumas nicht in der Vergangenheit, sondern darin, dass die menschliche Psyche dazu neigt, ein traumatisches Gesehen immer wieder aktiv in die Gegenwart zu holen. Das passiert zum Beispiel in Form von Flashbacks oder Wiederholungszwängen:
Diese Flashbacks sind etwas, was die Menschen außerordentlich quält. So kann man sich vorstellen, warum solche einzelnen Fragmente plötzlich auftauchen. Das können ganz ganz kleine Dinge sein, die die Umwelt gar nicht wahrnimmt. Ein Geruch, der an das miserable Essen erinnert. Ein Gegenstand, den man sieht, der irgendwie assoziiert ist mit einem Gegenstand in diesem Schlafsaal, ist dann der Auslöser.
Auf die Frage, was der Kinder- und Jugendpsychotherapeut Betroffenen heute für die Aufarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse raten würde, nennt er drei Punkten. Vor allem hilft es, mit vertrauten Personen zu sprechen, sich in Selbsthilfegruppen mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben, zusammenzutun und bei Bedarf eine passende Psychotherapie anzugehen.
Ulrich erzählt uns, welche weitreichenden Folgen die Kinderverschickung für sein Leben hatte. Er selbst versucht auch positive Aspekte herauszuziehen.
Christian Keitel ist Leiter des Projektes zur Aufklärung von Kinderverschickung vom Landesarchiv Baden-Württemberg. Er ist für das Zustandekommen des Anbietungsmoratoriums zu den Verschickungskinderakten verantwortlich.
Im Interview gibt er Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Anbietungsmoratorium und erklärt, warum es wichtig ist, besser heute als morgen mit der Aufarbeitung der Kinderverschickung zu beginnen.
In dem Moratorium empfehlen das Landesarchiv Baden-Württemberg und die beiden Arbeitskreise der Kreis- und Stadtarchive den Heimen und Behörden, Unterlagen zur Kinderverschickung erst nach 2025 den zuständigen Archiven anzubieten. Dadurch sollen Betroffene und recherchierende Archive länger Zeit haben, relevante Akten zu finden.
Bei den meisten Akten zur Kinderverschickung ist die Aufbewahrungsfrist (die Zeit, in der die Akten in den Heimen bzw. Behörden noch aufbewahrt werden müssen) abgelaufen. Sie müssen daher dem zuständigen Archiv angeboten werden. Archive können aber nur kleine Teile der Akten übernehmen und archivieren, der Rest wird vernichtet und kann dann nicht mehr recherchiert werden. Der Anbietungsprozess soll daher aufgeschoben werden, um den Betroffenen mehr Zeit zu geben.
Das Landesarchiv archiviert derzeit auf etwa 170 Regalkilometern Archivalien aus der Zeit zwischen 780 bis heute. Gegenwärtig liegen in der Landesverwaltung noch weitere 2000 Kilometer Akten, die vor allem in den letzten dreißig Jahren entstanden sind. Diese Dokumente können aus finanziellen und logistischen Gründen nur in kleiner Auswahl erhalten und somit für immer aufbewahrt werden. Das sind etwa 5 Prozent der 2000 Kilometer Akten. Künftige Historikerinnen und Historiker benötigen für ihre Arbeit lediglich einen Bruchteil aller entstandenen Dokumente.
Die Digitalisierung kostet ebenso wie die sich anschließende digitale Archivierung sehr viel Geld und kann nur zu einem kleinen Prozentsatz geleistet werden. Hinzu kommt, dass die Daten für die digitale Archivierung dreifach in drei verschiedenen Systemen abgespeichert werden müssen. Geld wird daher sowohl für den Speicherplatz als auch für Hard- und Software sowie die Arbeitslöhne, derjenigen, die für die digitale Archivierung verantwortlich sind, gebraucht.
Die Akten werden den zuständigen Archiven angeboten, archivisch bewertet und in Auswahl archiviert. Bei der Bewertung der Verschickungskinderakten suchen die Archivarinnen und Archivare nach Akten und anderen Unterlagen, die Aufgaben der Behörden und Heime und ihre wesentlichen Entscheidungen möglichst genau dokumentieren. Einen Eindruck können Sie in den Bewertungsmodellen des Landesarchivs gewinnen.
Für eine Lösung sollten die Akten von allen Personen, die aus heutiger Sicht von staatlicher Seite Unrecht erfahren haben, für die Dauer ihres Lebens aufbewahrt werden. Danach könnten sie archivisch bewertet und in kleiner Auswahl den Archiven übergeben werden. Heute kann diese Aufgabe weder von den Heimen oder Behörden noch von den Archiven geleistet werden. Notwendig wäre daher die Einrichtung von Zwischenarchiven. Es wäre naheliegend, diese Zwischenarchive bei den öffentlichen Archiven anzusiedeln, da dort die nötigen Archivierungskompetenzen vorhanden sind und die Akten zu einem späteren Zeitpunkt archiviert werden sollen. Die Einrichtung eines Zwischenarchivs müsste von der Gesellschaft gefordert und von den Parlamenten mit ausreichend Geldmitteln ausgestattet werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die dafür nötigen Mittel weder bei den Archiven noch in den Heimen und Behörden vorhanden.
Denkbar wäre auch noch eine umfassende Digitalisierung der Akten. Diese Lösung dürfte aber noch teurer sein als die Einrichtung eines Zwischenarchivs. Zu bedenken ist außerdem, dass dann die originalen Papierakten verloren gehen. In juristischem Sinne wird dadurch auch die Beweiskraft vor Gericht deutlich reduziert.
Wie wichtig die Aufarbeitung von Kinderverschickungen ist, hat sich spätestens seit 2019 gezeigt: Nach der Veröffentlichung einer Doku von Report Mainz, die die Missstände in Kinderkurheimen aufdeckt, melden sich tausende Betroffene an verschiedenen Anlaufstellen mit ihrer ganz persönlichen Verschickungsgeschichte.
Noch im selben Jahr findet der erste Kongress zur Aufarbeitung von Kinderverschickungen statt. In Baden-Württemberg gründet sich der erste Landesverein unter dem Namen AKVBW e.V. (Aufarbeitung Kinderverschickungen Baden-Württemberg). Kurz darauf folgt Nordrhein-Westfalen mit einem eigenen Landesverein.
Andrea Weyrauch, Trudel Haas und Gerhard Stoll sind von Anfang an dabei. Sie sind Gründungsmitglieder des AKVBW e.V. und selbst von Kinderverschickung betroffen. Im Video erzählen sie von den Anfängen der Vereinsarbeit, ihren Aufgaben und den aktuellen Herausforderungen und Zielen des Vereins.
Uwe Rüddenklau ist Vorstandsvorsitzender des Bundesvereins Initiative Verschickungskinder e.V. und ebenfalls als Kind in Kinderkur verschickt worden. Er erzählt im Video vom aktuellen Stand der Politik und Forderungen seitens des Vereins gegenüber Bund und Ländern.
Aktualisierung vom 27. Juni 2024: Der AKVBW e.V. befindet sich gegenwärtig in Liquidation, da es (noch) nicht gelungen ist, einen neuen Vorstand zu finden.
Bei Fragen und/oder Anregungen zum Projekt "Kinderverschickung - von Erholung keine Spur" wenden Sie sich gerne an uns, unter: projekt.kinderverschickung@gmail.com.
Sie möchten Ihre persönliche Verschickungsgeschichte teilen und/oder Beratung für Betroffene in Anspruch nehmen? Wenden Sie sich gerne an die Initiative Verschickungskinder e.V., unter: info@verschickungsheime.de.
"Kinderverschickung - von Erholung keine Spur" ist ein Masterabschlussprojekt von Gina Feis und Sophie Rücker. Es entstand am Institut für Medienwissenschaft und dem Zentrum für Medienkompetenz an der Eberhard Karls Universität Tübingen, betreut von Prof. Dr. Susanne Marschall.
In gemeinsamen Gesprächen haben Verschickungskinder ihre persönlichen Verschickungsgeschichten und die oft schmerzhaften Erinnerungen an ihre Erlebnisse mit uns geteilt. Für ihren Mut und ihre Offenheit, über das Erlebte zu sprechen, sind wir - Gina und Sophie - zutiefst dankbar. Ein ganz besonderer Dank gilt Trudel, Joachim, Ulrich und Gerhard. Sie und alle Betroffenen von Kinderverschickung sind das Herzstück von "Kinderverschickung - von Erholung keine Spur".
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Andrea Weyrauch, Trudel Haas und Gerhard Stoll vom AKVBW e.V. und Anja Röhl, Uwe Rüddenklau und Birgit Lübben von der Initiative Verschickungskinder e.V., die uns tatkräftig bei der Umsetzung dieses Projektes unterstützt haben.
Für die Bereitstellung historischer Materialien möchten wir uns beim Landesarchiv Baden-Württemberg und allen anderen Archiven sowie den Vereinen AKVBW e.V. und AEKV e.V. und allen Betroffenen bedanken.
Wir möchten außerdem allen Expertinnen und Experten danken, die ihr wertvolles Wissen in dieses Projekt eingebracht haben und sich in ihrer Forschung täglich für die Aufarbeitung von Kinderverschickung einsetzen. Ein großes Dankeschön geht an Thomas Beddies, Sylvia Wagner, Hilke Lorenz, Ilona Yim, Arne Burchartz und Christian Keitel.
Ein herzliches Dankeschön gilt auch Prof. Dr. Susanne Marschall von der Eberhard Karls Universität Tübingen, die uns in unserem Vorhaben stets bestärkt und unterstützt hat.